1. Juni 2023

Der unterschätzte Beitrag der Religion zur Klimagerechtigkeit

Heiliger Widerstand

Schild einer Klimademo mit der Aufschrift: "There is no Planet B"

In Deutschland mögen wir noch weitgehend von den unmittelbaren Auswirkungen der Klimakrise verschont bleiben. Doch die Entwicklungen schreiten stetig voran und verschärfen sich seit vielen Jahren. Damit einher gehen Veränderungen in den Ökosystemen und eine Zunahme sozialer Ungerechtigkeiten. All dies ist das Ergebnis menschlichen Handelns – allen voran der reichen Industrienationen. Unser Wohlstand wäre nicht möglich ohne den enormen Verbrauch von Ressourcen. Eine Folge ist, dass ärmere Länder und Gemeinschaften oft stärker vom Klimawandel betroffen sind, obwohl sie historisch gesehen nur einen geringen Beitrag zu den Treibhausgasemissionen geleistet haben. Auswirkungen des Klimawandels und die Maßnahmen zu dessen Bekämpfung müssen fairer und gerechter gestaltet werden: Es braucht Klimagerechtigkeit. 

FÜR MEHR KLIMAGERECHTIGKEIT

Die Antworten der Theologie auf die Klima-Frage

Ein klimagerechtes Handeln entwickelt Lösungen, die Unterschiede in Ressourcen, Macht und Verantwortung berücksichtigen. Menschen, die unmittelbar von den Folgen des Klimawandels betroffen sind, sollen ebenso wenig darunter leiden wie kommende Generationen, die noch massiver mit den Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert werden. 

  • „Die Ehrfurcht vor dem Leben beschränkt sich […] nicht auf das menschliche Leben, sondern schließt Tiere, Pflanzen, den Erdboden, das Wasser und die Luft mit ein. Die Menschen sollen Sorge dafür tragen, dass die Natur und die Mitgeschöpfe geschützt und erhalten werden.“​

Ein fast schon revolutionärer Gedanke, der vor 25 Jahren im Rahmen der „Allgemeinen Erklärung der Menschenpflichten“ des InterAction Council geäußert wurde. Maßgeblich mitgestaltet wurde er von unserem Gründer Hans Küng, der bereits im Jahr 1997 einen besonderen Fokus auf die „Bewahrung der Schöpfung“ richtete.

Auf einem Papp-Plakat steht die Forderung "Climate Justice Now!"
Junge Frau betet in der Natur
Raus aus dem Elfenbeinturm

Hin zur Öffentlichen Theologie

„Bewahrung der Schöpfung“ – das klingt nach den langhaarigen „Ökos“ der christlichen Umweltbewegung, die in den 80er Jahren auf die Straße gingen und das Ende von Atomkraft und Krieg forderten. Mit diesem angestaubten Bild vor Augen wurde die Rolle von religiösen Akteur*innen in Umwelt- und Klimaschutz über Jahre und Jahrzehnte kaum beachtet bzw. nicht für relevant erachtet. 

Nicht neu ist jedoch die Idee, dass gläubige Menschen an gesellschaftlichen Debatten teilhaben und sich auf Basis ihrer Theologie und religiösen Überzeugungen mit gegenwärtigen Fragen sozialer Gerechtigkeit auseinandersetzen. Diese öffentliche Theologie, die ihren Fokus auf sozialethische Fragen setzt, versteht sich ganz bewusst als eine gesellschaftskritische Theologie über und für die Öffentlichkeit; sie ist keine Theologie, die sich im akademischen Elfenbeinturm nur mit sich selbst beschäftigt. 

Gerade in kulturell und religiös diversen Gesellschaften bedarf es so einer Theologie, die plurale Glaubensperspektiven in öffentliche Debatten einbringt. Hören, diskutieren, kritisch nachfragen – Theologie kann so zum Bestandteil des öffentlichen Diskurses werden. 

Über Klima- und Umweltschutz hinaus

Die fRage nach der Gerechtigkeit

In unserer heutigen Zeit brauchen wir eine öffentliche, sich engagierende und einmischende Theologie. Die Frage nach Gerechtigkeit steht seit jeher im Zentrum von theologischen Diskussionen um Sozialethik, egal in welcher religiösen Tradition. Besonders vor dem Hintergrund der aktuellen sozialökologischen Transformation muss diese zentrale Frage des Weltethos-Konzepts wieder in den Mittelpunkt rücken.

Ein dazu passender Ausschnitt aus der fünften Weisung der Erklärung zum Weltethos aus dem Jahr 2018 lautet: 

„Aus den religiösen, spirituellen und kulturellen Traditionen der Menschheit aber vernehmen wir die Weisung: Du sollst nicht gierig sein! Oder positiv: Denke an das Wohl aller! Wir sollten – so gut es uns möglich ist – für die Bedürfnisse und das Wohlergehen anderer sorgen, einschließlich der heute und zukünftig lebenden Kinder. Jede*r hat die Verantwortung, ihre/seine Auswirkung auf die Erde so weit wie möglich zu minimieren, Lebewesen und die Umwelt nicht wie Dinge zum persönlichen Gebrauch und Vergnügen zu behandeln und die Konsequenzen unseres Handelns für kommende Generationen zu berücksichtigen. Ein achtsamer und kluger Ressourcengebrauch basiert auf einem fairen Konsumverhalten und berücksichtigt die Grenzen dessen, was Ökosysteme aushalten können.“

Schild, auf dem ein Bild der Erde mit der Überschrift "One World" steht.
Chancen des Spirituellen Aktivismus

Eine neue Protestkultur

Wie kann Gerechtigkeit hergestellt werden? Wer ist Teil unserer Mitwelt und was tun wir, um diese zu bewahren? Eine Herangehensweise an diese Fragen auf zivilgesellschaftlicher Ebene finden „spirituelle Aktivist*innen“ durch die Umsetzung von Klimaaktivismus. Auf Basis einer klaren Wertehaltung, die unsere Umwelt – religiös gesprochen, die Schöpfung – als heilig ansieht, wird die eigene Spiritualität verbunden mit konkreten Handlungen zum Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden. Heilig meint hier nicht nur das rein religiös Heilige, sondern die Bedeutung von ethischen Werten der Menschheit wie Respekt, Gerechtigkeit und Liebe.

Dieser „heilige Widerstand“ sei ein Versuch, so der Journalist Geseko von Lüpke, der globalen Zerstörung eine schöpferische Kraft entgegenzustellen – mit Verbundenheit und Freude an der Schöpfung und dem Wunsch, diese zu erhalten. Es geht also um Zukunftsfähigkeit, neue Daseinsformen und den schonenden Umgang mit den vorhandenen Ressourcen. Dieser „sacred activism“ beruft sich auf Religionsführer wie Jesus oder Buddha, deren spirituelle Werte und weltliches Handeln eng miteinander verbunden waren. Politische Aktion und Spiritualität werden so verknüpft. 

Was wäre beispielsweise, wenn Klimademonstrant*innen auf der Straße meditieren? Das Ergebnis wäre eine Veränderung der Protestkultur: Es würde nicht mehr nur lautstark gegen etwas protestiert, sondern gleichzeitig eine konkrete Vision für die Zukunft unseres Planeten verbreitet. Eine Vision, wie sie auch Hans Küng vor Augen hatte, als er die Weltethos-Idee formulierte.

Und während das Projekt Weltethos dazu aufruft, sich über kulturell und religiös Trennendes hinweg gemeinsam für die drängenden Fragen unserer Zeit einzusetzen, bietet die interreligiöse internationale Kooperation des spirituellen Aktivismus die Chance, mehr Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit für die sicherlich drängendste Fragen aller Fragen zu erlangen.

von Dr. Theresa Beilschmidt und Lena Zoller

(Interreligiöses und Gesellschaft)

Quellen

Zum Nachlesen

Veranstaltungshinweis

Ist Gott ein Grüner?

Wie können Religionen dazu beitragen, die Klimakatastrophe zu verhindern? 

Mit unseren Gästen sprechen wir über ethische Fragen nach Selbsterkenntnis und Verantwortung sowie um das Potential von interreligiöser Kooperation gegen die Klimakatastrophe.