19. März 2025
Religiöse Biografien: Ein Jude – ein Christ – ein Muslim

Was verbindet einen Christen aus Stuttgart, einen schwäbischen Muslim mit multikulturellem Hintergrund und einen in den USA geborenen Juden, der seit über 40 Jahren in Deutschland lebt? Diese Frage stand im Zentrum der Gesprächsrunde „Religiöse Biografien: 1 Jude – 1 Christ – 1 Muslim“ am 12. März im Deutsch-Amerikanischen-Institut Tübingen (d.a.i.). Rund 75 Zuhörer*innen folgten konzentriert einem spannenden und humorvollem Austausch zwischen Martin Attar, Dr. Michael Blume und David Holinstat, zu dem die Stiftung Weltethos und das d.a.i. eingeladen hatten.
Wege und wendepunkte
Martin Attar wuchs in einem multikulturellen und multireligiösen Elternhaus mit großem Freiraum auf. Auf seiner religiösen Sinnsuche stieß er auf die salafistische Szene. Zentraler Wendepunkt für ihn war 2016 die Abwendung vom Salafismus. Danach setzte er sich mit dem eher traditionellen, sunnitischen Islam auseinander. Er begann islamische Theologie, später Politikwissenschaften zu studieren und promoviert zur Zeit in islamischer Theologie. Ob als Referent, Blogger oder Buchautor: Religion als starke Ressource, mit ihren positiven und negativen Ressourcen, zu verdeutlichen, ist ihm ein großes Anliegen.
Dr. Michael Blume kommt aus einer nicht religiösen Familie und fand bereits als Jugendlicher zum Christentum. Er studierte Religions- und Politikwissenschaften und promovierte zu Religion und Hirnforschung. Auch wenn er fest im Christentum verwurzelt ist, ist sein Alltag sehr interreligiös: Bei der Arbeit im interreligiösen Team im Staatsministerium Baden-Württemberg, aber auch im christlich-muslimischen Familienalltag mit drei Kindern. Als seinen letzten Wendepunkt beschreibt er 2016 die berufliche Reise im Rahmen der Projektgruppe „Sonderkontingent für besonderes schutzbedürftige Frauen und Kinder aus dem Nordirak“ : Hier gerät sein säkularer Fortschrittsglaube in die Krise, seitdem sieht er sich nicht mehr als Optimist, „aber ich habe noch Hoffnung.“
David Holinstat wuchs in den USA auf, seine Eltern waren säkulare Juden. Er selbst wurde erst in Deutschland zum praktizierenden Jude und stieß durch die Lektüre über das Judentum auf die Werte seiner Eltern. Er hat nie nach einer anderen Religion gesucht und sieht sich selbst als Vertreter eines eher liberalen Judentums. Ein Wendepunkt war für ihn während der Pandemie, als er auf Bücher des Oberrabiners Jonathan Saxcks stieß.
„Die Überzeugung, dass alle Religionen gleich sind, könnte uns weiterbringen.“
David Holinstat
engagement für den Interreligiösen Dialog
Trotz unterschiedlicher Wege und Wendepunkte: Alle drei verbindet die Entscheidung, sich öffentlich für den interreligiösen Dialog zu engagieren.
Dr. Michael Blume tut dies in seiner Funktion als Beauftragter der Landesregierung gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben.
Martin Attar und David Holinstat gehen als muslimisch-jüdisches Tandem, u.a. für die Stiftung Weltethos an Schulen und sprechen über ihren Glauben.
David Holinstat betont, dass er nie Berührungsängste gegenüber anderen Religionen hatte. Wichtig für ihn ist der Kontakt mit Menschen anderer Religionen, so singt er z.B. im evangelischen Kirchenchor. „Es gibt so viele Vorurteile gegenüber anderen Religionen, da möchte ich meinen kleinen Beitrag leisten.“
Martin Attar berichtet, wie es ihnen beiden mit „RAYCA“ gelingt, den Islam und das Judentum zu entmystifizieren und gemeinsame Werte zu verdeutlichen. Dadurch verstünden die Menschen: „Die Leute sind gar nicht so anders wie wir selbst.“
Dr. Michael Blume kann das nur unterstreichen: Jede Begegnung mit einem anderen Menschen, biete die Chance etwas zu lernen. Man entdecke in den anderen Religionen ganz viel vom Eigenen. Zentral sei dabei, „Brücken zu bauen, statt besser zu wissen“.


frieden stiftung und hoffnungsvoll bleiben
Attar, Blume und Holinstat blicken auf Gemeinsamkeiten in den Religionen. Es liegt ihnen viel daran, das Miteinander in den Vordergrund zu stellen. Blume wünscht sich, dass religiöse Akteure gemeinsam an der Menschenwürde festhalten.
Auf die Frage, welche Werte sie trägt, um weiterzumachen, meint David Holinstat: „Ich bin nicht optimistisch, aber hoffnungsvoll. Ich mache einfach.“ Für Martin Attar ist eine friedensstiftende Haltung zentral, die nicht nur in einer Religionsgemeinschaft gelebt wird, ist das Wort „Islam“ im Arabischen doch mit „Salām“ verwandt, was mit „friedensstiftend“ übersetzt werden kann. Dr. Martin Blume verweist auf „Glaube, Liebe, Hoffnung“ aus dem Paulus-Brief.
„Hoffnung ist das, was wir dringend gemeinsam wachsen lassen müssen.“
Dr. Michael Blume
Referent*innen:
- Martin Attar, Theologe und Politologe, Reutlingen
- Dr. Michael Blume,Beauftragter der Landesregierung gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben, Stuttgart
- David Holinstat, Informatiker, Herrenberg
Moderation:
- Dr. Theresa Beilschmidt, Stiftung Weltethos
Begrüßung:
- Dr. des. Katharina Luther, d.a.i.
Veranstalter:
Eine gemeinsame Veranstaltung des Deutsch-Amerikanischen Institut Tübingen und der Stiftung Weltethos Tübingen.
Tel.: +49 (0)7071 400 53 - 13
E-Mail: beilschmidt@weltethos.org