15. April 2025
Ezidische Identität im Wandel

„In unseren Heimatländern können wir unseren Glauben nicht zeigen. Und hier machen wir Werbung dafür.“ Mit diesen Worten brachte Maher Abdu auf den Punkt, worum es bei der Tagung der neuen Reihe zur religiösen Vielfalt ging: Anerkennung und Integration von Minderheitengemeinschaften als Schlüssel für gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Am 8. April 2025 startete in Stuttgart die neue Tagungsreihe der Stiftung Weltethos in Kooperation mit der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart – mit dem Fokus auf das Ezidentum. Ziel war es, über religiöse Minderheiten aufzuklären, Vorurteile abzubauen und politische Teilhabe zu fördern.
Das Ezidentum
Die religiösen Praktiken der Ezid*innen sind nach wie vor von Missverständnissen und Vorurteilen geprägt. In Vorträgen betonten Expert*innen wie Prof. Dr. Sefik Tagay, dass Vorurteile – etwa der Vorwurf der „Teufelsanbetung“ – auf Unwissen beruhen.
Merkmale des Ezidentums:
- Zentraler Glaubensinhalt ist der Glaube an Taus Melek, den Pfauenengel als Mittler zu Gott.
- Das Ezidentum basiert auf mündlicher Überlieferung, nicht auf einer kanonischen Schrift.
- Die Gemeinschaft gliedert sich in die Kasten Murids (Laien), Pirs (Priester) und Scheichs.
Das Ezidentum, auch Jesidentum genannt, ist eine der ältesten monotheistischen Religionen mit Wurzeln im Nahen Osten. Weltweit leben etwa eine Million Ezid*innen, davon rund 200.000 in Deutschland. Hierzulande ist die Gemeinschaft nach dem Irak die größte Diaspora. Trotz ihrer Präsenz ist das Wissen über ihre Glaubensinhalte und gesellschaftlichen Anliegen gering.
Besonders geprägt ist die Gemeinschaft von den Folgen des Völkermords 2014 durch den sogenannten Islamischen Staat (IS). Erst 2023 wurde dieser vom Deutschen Bundestag offiziell anerkannt.


Trauma und resilienz
Die Erinnerung an den Genozid und seine Folgen bleibt ein zentraler Bestandteil der Identität der Gemeinschaft. Dr. Michael Blume und Prof. Dr. Jan Ilhan Kizilhan berichteten in einer Podiumsdiskussion über die Erfahrungen betroffener Frauen und die schwierige Entscheidung bei der Auswahl von Evakuierungen.
Kizilhan beschrieb den Genozid als dreiphasig: physische Vernichtung, Identitätsverlust in Camps und kultureller Zerfall. Zugleich sei die Resilienz der Gemeinschaft bemerkenswert: „Ein Trauma kann ein Volk zerstören – oder es wachsen lassen.“
Leben in der diaspora
Im zweiten Panel diskutierten Vertreter*innen ezidischer Organisationen über das Leben in Deutschland. Prof. Kizilhan betonte, dass Ezid*innen aus verschiedenen Ländern hier erstmals aufeinandertreffen und sich zunehmend organisieren. Ilyas Yanc hob die Fortschritte in Bildung, Gemeindeaufbau und politischer Teilhabe hervor, während Maher Abdu die Bedeutung interreligiöser Netzwerke unterstrich.
In der Diaspora wächst zudem der Wunsch nach Reformen, besonders in Bezug auf die endogamen Heiratsregeln. Die Wandlungsfähigkeit der Religion sei ein wichtiger Aspekt, der den Fortbestand und die Weiterentwicklung des Ezidentums in der Diaspora ermögliche.


Ezidische Frauen im MIttelpunkt
Die Tagung widmete sich besonders den Erfahrungen ezidischer Frauen, die durch den Genozid und die darauf folgenden Herausforderungen eine neue Bedeutung erlangten. Überlebende wie Jihan Alomar berichteten von ihrem Weg zur Selbstermächtigung und der Bedeutung der Unterstützung durch die Gemeinschaft. Zemfira Dlovani betonte, dass heute die Rolle der Frauen nicht nur im traditionellen Kontext von Familie und Heimat, sondern auch im öffentlichen Leben gestärkt werde. Immer mehr ezidische Frauen übernehmen Verantwortung in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft – besonders für junge Ezid*innen sind solche Vorbilder besonders wichtig.
In Kooperation mit


Mit finanzieller Unterstützung des Landtags und des Staatsministeriums Baden-Württemberg über die Stiftung Entwicklungszusammenarbeit Baden-Württemberg.

